Den Nerv haben sich einzulassen auf andere und sich zu offenbaren vor anderen. Zeigen wer man ist und sehen wer andere sind. Das ist nichts für schwache Nerven. EIN PLÄDOYER FÜR MEHR MUT.

Erst wenn Menschen sich auf uns einlassen, sind wir bereit uns zu zeigen. Erst wenn wir uns auf sie einlassen, lernen wir Menschen kennen. So einfach ist das. Sich einlassen und sich offenbaren scheinen notwendig, wenn wir einen Menschen kennenlernen möchten. Wir brauchen Mut um offen zu sein gegenüber anderen. Einerseits für das Aussprechen eigener Gedanken. Andererseits für das Zuhören und sich darauf einlassen, was andere einem sagen oder auf das einmal Ausgesprochene sagen könnten. Manchmal haben wir Angst auszusprechen was wir denken. Manchmal auch Angst vor dem was daraufhin passieren könnte, wenn wir es aussprechen. Das alles ist erstmal nichts für schwache Nerven.
Den meisten Menschen fehlen die Nerven für ein gutes Gespräch. Das Gespräch das uns verwickelt, uns begeistern kann, dass uns verändert und uns am Ende anders verabschieden lässt, als es uns zu Beginn begrüßen lassen hat. Wir geben viel zu früh auf. Wir haben viel zu oft Angst, Gespräche wirklich gut werden zu lassen. Wir vertrauen uns viel zu selten selbst.
Wir wollen — ich vermute das — alle gute Gespräche führen – am liebsten immer. Gute Gespräche, unkomplizierte Gespräche. Gespräche die uns aufmachen, statt zu verschließen. Gespräche die uns erstaunen, statt zu langweilen. Gespräche die uns zeigen, dass uns jemand sieht.
Die Frage ist, ob wir die Nerven, die Zeit dafür haben, in ein gutes Gespräch zu investieren, um es zu initiieren und um es dann halten bzw. auch führen zu können. Ein gutes Gespräch kann in einem Atemzug vergehen, wenn wir unaufmerksam sind. Wenn ein Signal das falsche ist.
Wir alle können sprechen, das denken wir. Oft denkt man, das müsste reichen was man sagt und wundert sich, wenn andere es nicht verstanden haben.
Wir haben ein gutes Empfinden für die Gesprächskompetenz anderer. Wann sie sich im Ton vergreifen, wann sie mal wieder übertrieben haben, sich selbst gern reden hören haben. Wir hören lieber die Fehler anderer oder über Fehler anderer. Wir hören lieber von anderen. Manchmal lieber als uns selber zu. Uns selber zuhören, wenn wir sprechen.
Ein gutes Gespräch erwartet unsere Anwesenheit, unsere radikale Aufmerksamkeit. Ein gutes Gespräch ist wie ein Fitnessstudio — man kann ins Schwitzen kommen aber man wird mit der Zeit immer stärker.
Ich und du, wer ist das? Wissen wir wer wir oder die anderen sind? Eine Frage mit manchmal erschreckenden Antworten. Eine Frage, dessen Antworten unser Leben bestimmen – wer bin ich und wer sitzt da eigentlich vor mir, neben mir oder schläft jede Nacht im selben Bett mit mir? Oder: Wer sitzt da eigentlich in mir?
Wir müssen also sprechen. Um uns kennenzulernen. Um uns auszutauschen. Um uns zu verstehen. Alles wächst und gedeiht, vergeht oder verödet mit der Qualität unserer Gespräche. Auch die Selbst- und die Zwiegespräche. Schauen wir auf die Familie, die Freunde, die Partner, die Kollegen, die Bekannten, die Affairen, die flüchtigen Kontakte – überall gibt es die die uns faszinieren und fesseln und die, die es nicht tun.
Wir müssen uns nicht mit Menschen umgeben, die uns nichts mehr geben, uns nicht mehr inspirieren. Wir können weiterziehen im Leben, wenn wir uns das erlauben. Wir können aber auch mit diesen Personen noch einmal ein ernstes Zwiegespräch führen. Dem gehen wir ja gerne aus Mangel an Mut auch schon mal aus dem Weg.
Das hier, ist ein Plädoyer für mehr Mut in Gesprächen die wir führen. Ich meine mehr Mut im Aussprechen von Gedanken, im Sich-offenbaren, im Fragen stellen, im Gespräch führen, aktiv führen oder auch im Zuhören, und genauso im Mund halten. Im sich zurücknehmen damit wer anderes ein Raum bekommt. Mut Worte auszuhalten die andere für uns haben und hinzusehen wer sie sind während sie erzählen – ob traurig, ob hungrig nach Aufmerksamkeit, ob stark oder einfach lustig ihrer Sprache, vorsichtig im Ton ihrer Stimme oder brutal oder stumpf. Sich einlassen. Das aushalten, was wir von anderen erwarten! Hinhören, Mitdenken oder sagen, wenn man etwas gar nicht verstanden hat oder nachvollziehen kann.
Mut auszusprechen was wir sehen und Mut für sich zu stehen. Mut, nichts zu verlieren wo man manchmal auch gewinnen könnte, wenn wir nämlich zeigen wer wir sind und dadurch verändern, was man dachte. Weil die uns umgebenden Menschen uns erst dann erkennen, erst identifizieren können wer wir sind. Es wird kein Wunder sein, dass so viele Beziehungen enden, mit der Tatsache, nach Jahren herausgefunden zu haben, man passe. nicht zueinander oder ein anderer passe besser zu einem.
Mut zum Dialog heißt Mut zur Auseinandersetzung, es heißt eigentlich auch Mut zum Leben, zum Konflikt, zum Worte finden können, zum Nicht-perfekt-sein. Es ist auch der Mut zum Erkunden und zum Erfahrung machen. Mut alles verlieren zu können, um das Richtige zu finden. Mut um aufzuhören in Angst, aufzuhören im Zweifel zu leben. Anfangen sich zu erkennen. Und: die anderen. Wie sonst soll man für sich die passenden Freunde, Bekannte oder Arbeitskollegen finden, wenn Angst alle Entscheidungen fällt?
Gute Gespräche sind wie fremde Orte, unbekannt wie Wildnis, wie Weltmeere, tief und dunkel in ihrem unbekannten Potential – das meiste erscheint unberührt und fasziniert uns darum im Gespräch – wir müssen dann hinhören, denken, überlegen wie es uns damit geht – das macht wach, inspiriert oder macht Angst.
In der Wildnis ist vieles noch geheim, unbekannt, manchmal zum Fürchten und für manche ist das Unbekannte grundsätzlich beängstigend. Eine Podcast-Folge zu diesem Thema zu machen, war es für mich definitiv auch. Aber ich brauche das Fremde, es zu berühren und zu gucken wie es auf mich reagiert und ich auf es. Mich vertraut machen mit dem Fremden. Wachsen durch das Fremde. Werden wer ich sein kann. Und anderen helfen, es auch zu werden. Durch ein Beispiel das man abgibt. Nichts mehr und nichts weniger. Vielleicht will ich ein Beispiel sein. Einfach sein wer ich bin. Ich will sein wer ich sein kann. Frei sein will ich. Einige lächeln über diesen Plan und verunsichern mich damit. Und dann werden sie alt aber nicht mutiger. Und ich verliere sie, weil sie in ihrer Komfortzone zurückbleiben und ich weiterziehe.
Finden wir einmal Vertrauen anderen gegenüber – und dieses Wort kann man nur unterschätzen: VERTRAUEN – geben wir ihnen automatisch umso mehr Einblick in das Fremde in uns, in die Wildnis in uns und plötzlich erkennen sie manchmal Dinge die wir nie gesehen, nie verstanden haben, die wir nie in einen Zusammenhang bringen konnten. Und dann gehen wir aus Gesprächen anders raus als wir hineingestiegen sind. Weil wir mutig waren und uns gezeigt haben, erkannt wurden, erkannt haben.
Das Unfertige, das nicht Kultivierte, das Verrückte in uns, das Lächerliche und manchmal auch Peinliche – peinlich bis wir wissen das es auch anderen so geht. Vertrauen entsteht, wo wir uns geborgen fühlen. Es gibt die materielle und die immaterielle Sicherheit oder die finanzielle, die existenzielle Sicherheit und es gibt Geborgenheit. Wenn wir in existentieller Sicherheit leben, sind wir noch nicht geborgen. Geld schützt nicht vor Seelenunheil? Nicht vor Angst. Nicht vor den lebendigen Tücken der Vergangenheit, nicht vor den inneren Fragen auf die wir bisher keine Antworten fanden. Wir müssen sprechen, auch mit uns selbst.
Erst wo wir Vertrauen finden, können wir uns offenbaren oder uns einlassen. Auf jemanden, auf etwas, am besten wechselseitig. Vertrauen finden ist das eine, es geben ist das andere.
Wie kann man Vertrauen geben? Wir finden Vertrauen wo keine Wertung ist. In dem man den anderen anerkennt. Wenig motiviert Menschen so sehr wie Anerkennung. Gemeint ist hier nicht die Anerkennung durch Bonuszahlungen. Gemeint ist, einen Menschen anzuerkennen, ihn zu sehen wie er ist, ihn zu verstehen in einem Moment, ihn nicht zu werten oder zu beurteilen in dem was er grade sagt, was er grade lebt, woran er grade glaubt. Es kann überheblich sein zu werten, moralisch zu werden – besonders dort, wo uns selber das moralische Verhalten fehlt.
Gespräche gehören zu unserem Menschenleben dazu. Sprache ist das wichtigste Mittel der Verständigung. Gespräche können komplex sein, konkret oder abstrakt werden. Sie können nachwirken und in uns weiter arbeiten durch die Offenbarung nie gemachter Gedanken oder der Offenlegung von Lügen, das Aussprechen von Wünschen, von intimen Bedürfnissen, die Formulierung tiefen Ärgers oder alter Geheimnisse. Gespräche können die Wirkung entfalten, Beziehungen zu verändern — zu retten, zu zerstören. Gespräche schaffen Verständigung, schaffen Glauben, Misstrauen, Angst, Mut, Hoffnung, Geborgenheit oder auch Liebe …
Es heißt, Liebe verletzt nicht. Jemand der nicht weiß wie wir zu lieben sind, verletzt uns. wir sollten diese zwei Dinge nicht verwechseln. Bedeutet aber auch das wir miteinander sprechen müssen. Sich nur schön zu finden, wird für die weitere Entwicklung nicht reichen. Das merken die meisten.
Wem wir etwas anvertrauen, dem signalisieren wir die Einladung uns kennenzulernen. Wir zeigen Wertschätzung, Respekt, Augenhöhe und wir zeigen Anerkennung. Man kann sie zeigen. In manchen Menschen lässt es sich lesen, ob sie wohlwollend oder wertend sind, ob sie uns anerkennen, ob sie sich überhaupt selber anerkennen — das kann man in einem Gespräch heraushören. Man muss dafür aber hinhören. Wenn man möchte, dann kann man hinter die Masken der Sprechenden sehen. Menschen verraten ihre Masken im Reden, im Verhalten, in der Art wie sie zuhören und was ihnen wichtig erscheint.
Alle wollen anerkannt sein. Alle wollen Zugehörigkeit. Und alle müssen Antworten darauf finden, warum sie es so oft nicht sind — anerkannt oder zugehörig. Meist ist man zwar anerkannt aber lange nicht überall und nicht von jedem und das merkt man immer wieder – auch wenn wir es uns nichts anmerken lassen!
Im Job, bei Freunden, in der Partnerschaft, in der Familie, auf der Straße suchen wir Anerkennung und wollen gerne dazugehören. Natürlich sagt keiner er oder sie will Anerkennung. Natürlich sagen wir keinem, “ich möchte dazugehören”. Diese Blöße gibt man sich ungern. Lieber erhascht man sich Aufmerksamkeit, Dazugehörigkeit, Anerkennung oder die vermeintliche Liebe anderer durch weniger offensichtliche Gesuche: viel Arbeit oder viel Sport oder viel Selbstsabotage, viel Engagement für irgendetwas und alles immer auch, um endlich gesehen, für liebenswert empfunden oder für gut genug gehalten zu werden. Man nennt das auch Minderwertigkeit. Die haben wir übrigens alle. Von klein auf.
Und dann verlieren wir die Zugehörigkeit oder Anerkennung manchmal durch andere – manchmal wegen unserer Hautfarbe, unseres Gewichtes, weil wir zu wenig besitzen, die falschen Freunde haben. Menschen haben sehr individuelle Gründe, warum sie andere Menschen anerkennen oder nicht.
Wir können manchmal auch verfolgt sein von der Angst Anerkennung zu verlieren, nicht mehr dazuzugehören, allein zu sein — immer die Angst etwas falsch zu machen, das unsere Anerkennung nehmen könnte. Angst den Job zu verlieren, die Freunde, den Partner.
Religionen sind unter anderem vermutlich darum entstanden: Sie fanden eine Antwort auf die Frage, mit welchen Konzepten wir eigentlich durch dieses Leben kommen, das uns ja manchmal den Glauben raubt. Denn das Leben stellt täglich Fragen, manche so groß, dass wir keine Antworten darauf finden — dann verlieren wir uns mitunter im Leben.
Manchmal sind es die Fragen an uns, deren Antwort wir bei anderen zu finden glauben und noch schlimmer: von anderen erwarten. Wir geben dann Ver-Antwortung ab. Und in Verantwortung steckt immer das Wort Antwort. Wer Verantwortung übernimmt, ist bereit auf Fragen Antworten zu finden.
Manche müssen mehr für ihre Anerkennung tun als andere, weil sie homosexuell sind und auch noch arabisch, ein Mann, verheiratet, Kinder aber schwul. Und das ist nur ein reales Beispiel. Eines das viele Fragen aufwirft, die ein Mensch dann beantworten muss.
Wir alle entscheiden täglich wen wir anerkennen und wen nicht. Wir alle. Wir alle wollen Anerkennung aber wir geben sie nicht jedem. Wir alle können im Zweifel täglich Menschen verletzten — immer dann, wen wir ihnen die Anerkennung einfach entziehen. Das geht sehr viel schneller als wir denken. Genauso schnell wie wir Schuld vergeben, vergeben wir Verantwortung für Fragen die uns selbst angehen.
Wir alle bekommen täglich ganz sicher nicht mit, wie viele wir damit verletzen es nicht zu tun — andere anzuerkennen. Es ist der Blick, die Geste, die fehlende Aufmerksamkeit, der Ton in unserer Stimme. An der Kasse, beim Bäcker — wir bewerten die Menschen um uns und dann behandeln wir sie dementsprechend: die mit Akzent, die mit denen uns Gespräche so zäh erscheinen, weil wir uns nicht auf sie einlassen wollen. Die mit Handicap, von denen wir nicht wissen wie wir mit ihnen umgehen sollen. Die, von denen wir ahnen dass sie potentiell unsere Unfähigkeit entblößen könnten – sprich die die wir lieben und die uns nahe sind, sind besonders gefährdet für alles das wir nicht beantworten können, von uns die Verantwortung zu bekommen. Wir lassen uns nicht aufeinander ein manchmal. Und manchmal ist es zu spät. Und das nur weil jemand anders dachte als wir. Jemand anders entschieden hat als wir, anders mit Dingen umgeht als wir, anders ist, ein anderer ist.
Ein Gespräch, wenn es uns interessiert, uns fesselt, inspiriert, kann verbinden, kann Geborgenheit stiften, kann attraktiv machen, kann Verständnis erzeugen und ein gutes Gespräch kann auch die Fähigkeit des Zuhörens trainieren und es kann das Gefühl gesehen zu werden geben — und es nehmen.
Was geben wir und was nehmen wir? Geben wir was wir nehmen? Unseren Partnern, unseren Kindern, den Eltern, und alle den anderen? Geben wir die Aufmerksamkeit die wir erwarten? Es scheint leider so, als wäre das nicht immer der Fall. Oft fordern Menschen, was sie selber nicht bereit sind zu geben. Oft fordern Menschen auch, was sie sich selbst nicht bereeit sind zu geben: Anerkennung, Liebe, Geduld. Da gibt es eine Menge aufzuzählen.
Können wir also sehen mit wem wir es jeden Tag zu tun haben? Können wir das, wenn wir uns selber denn kaum sehen? Können wir das, selbst wenn es so ist, zugeben? Sehen wir eigentlich mit wem wir leben, die Menschen um uns herum und welchen Einfluss sie auf uns nehmen? Uns abhalten oder uns ermutigen? Wen lieben wir und auch was lieben wir und passt das alles schon so oder müssen wir da noch dran arbeiten? Sehr oft müssen wir noch. Einige tun es auch.
Sehen wir wer wir einmal sein wollen? Sein können? Und sehen wir was andere sein könnten, auch durch uns? Weil wir sie ermutigen, durch Anerkennung? Sehen wir eigentlich was andere in uns sehen? Wenn ja — das ist wunderbar. Wenn nein: Warum nicht? Was sieht denn das Auge? Und was sieht es nicht? Was sehen unsere Sinne? Das Ohr, die Haut, die Nase? Wir sehen auch mit den Gefühlen die wir uns machen. Wir sehen mit dem was wir riechen oder was wir hören.
Jeder kennt das: ein Tisch voller Leute, man hat Besuch und dann gibt es diese Menschen die fragen gar nichts. Oder sie erzählen ohne das jemand danach gefragt hat — von ihren Jobs und ihren Anstrengungen und wie sie was auch immer finden. Wer kein Interesse hat, der fragt nichts. Wer ohne gefragt zu werden erzählt, der hört vielleicht nicht gern bei anderen zu.
Wer wenig fragt, nutzt das Wesen der Frage vielleicht nicht. Fragen hilft Antworten zu finden oder sie zu bauen. Nicht jede Antwort ist die Antwort die schon suchen. Manchmal sind viele einzelne Antworten erst das, was wir benötigen. Das Wort „fragen“ soll von „suchen“ und „suchen“ wiederum von „aufreißen“ oder von „wühlen“ stammen. Man trifft in der Wortherkunft ferner dann auf das Wort „Furche“. Furchen ziehen wir, wo wir Samen wachsen lassen wollen. Fragen wir etwas, ziehen wir Furchen in die Seelenlandschaft eines Menschen, aus der dann Antworten sprießen können.
Gespräche sind ein grundlegender Teil unseres Alltages. Wir rutschen dabei nicht selten in einen Routine-Modus: Unbewusst schalten wir den Autopiloten an, sind schnell gedanklich abwesend, sprechen mit weniger ernstem Interesse. Unsere Antworten werden kürzer, banaler, verlieren an Tiefe, bis nichts an Reaktion mehr ein Gesprächsangebot beinhaltet und das Gegenüber das Gespräch alleine führen muss, wenn es weitergehen soll. Wahrscheinlich nicht wenige Gespräche werden nur von einer Seite geführt — so lange niemand darüber nachdenkt, fällt das keinem auf. Man muss nur einmal darauf achten. Auch in Beziehungen.
Man kann sich das als ein Fußballspiel vorstellen. Das Gespräch ist der Ball. Bei manchen Spielern bleibt der Ball liegen. Einige spielen ihn in die falsche Richtung. Anderer sind keine Team-Player. Sie unterstützen das Gespräch nicht. Wieder andere geben den Ball nie ab. Manche können jeden Ball annehmen.
Wer glaubt, ein interessantes Gespräch finde ohne Denken oder Bewusstsein statt, hat gute Gespräche bisher vielleicht noch nicht erfahren, nicht probiert, initiiert oder vernachlässigt. Nicht erfahren heißt, bisher keine Fehler gemacht, keine Risiken eingegangen, heißt einfach keine Erfahrung. Kurz: man bleibt in seiner Gesprächskompetenz wie man ist bzw. hat irgendwann aufgehört, vielleicht seit dem letzten Bildungsabschluss, seine Kompetenz weiter zu trainieren — man ist damit gern bequem, unkompliziert. Es ist wie mit der Nachbarschaft, dem Kiez in dem man zuhause ist, die Stadt in der man wohnt — man kennt das was man mag. Alles andere sieht man nicht. Das ist beim Menschen vielleicht ähnlich.
Um durch manch ein Gespräch und vielleicht sogar, um durch den wesentlicher Teil des Lebens selbst zu kommen ist Gesprächsfähigkeit notwendig, und es kann problematisch werden, wo wir neue Perspektiven auf alte Probleme zu finden suchen, wenn wir die immer selben Wege denken und das Gleiche reden, statt für einen Moment aus der Komfortzone hinaus zu fahren, hinauszudenken, hinaus zu sprechen oder die Ohren zu spitzen.
Wenn wir über Dinge reden, über die wir immer reden, werden wir in Gesprächen enden die wir kennen, statt gute Gespräche zu erleben.
Es müssen für ein gutes Gespräch nicht erst Gefühle offenbart oder Geheimnisse gelüftet werden. Wir können in jedem Gespräch thematisch abbiegen oder gedanklich in Tiefen tauchen. Die Frage ist immer: Will man das?
Gute Gespräche passieren durch Bemerkenswertes, etwas das wir gelesen haben, oder etwas Seltsames, das wir auf der Straße gesehen haben. Eine Erinnerung, die uns in den Sinn kommt. Es ist bedauerlich, dass sich die meisten Gespräche auf die engen Leitplanken von Wetter und Arbeit, Politik und Sport beschränken wollen.
Wenn wir willige Komplizen finden, die sich mit uns in ihre innere Wildnis begeben:
Sprechen wir über das was uns selber begeistert, fesselt, uns Angst macht oder motiviert. Etwas das wir im Gedächtnis behalten werden. Wir können ungeschliffene Gedanken und Ideen zur Sprache bringen. Dafür müssen wir nur mutig sein, nämlich mehr von dem zu erzählen was wir denken oder hinterfragen. Etwas auf das wir noch keine Antworten haben. Wenn das was wir sagen nicht auf Resonanz stößt, dann ist da womöglich noch Potential.
Räumen wir offensichtliche Störfaktoren für gute Gespräche vorab aus dem Weg: Denken wir an das Setting! Wie fühlt sich unser Gegenüber wohl? Zu welcher Zeit, in welchem Raum, mit welcher Lautstärke oder Ruhe. Mit welchem Essen oder Getränk oder ist es ein Spaziergang? Das Beantworten von Texten und Scrollen auf unserem Mobil-Telefon kann natürlich stören, doch wer das nicht weiß, müsste vielleicht eh noch einmal in die Grundschule. Seien wir konkret in dem was wir sagen. Seien wir konstruktiv. Seien wir zugewandt, unvoreingenommen, interessiert, echt und authentisch in unseren Reaktionen.
Stellen wir unsere Augen zur Abwechslung mal auf das Gegenüber ein. Versuchen wir, ein bestätigendes Nicken auch mal auszusprechen, während unser Begleiter eine Geschichte erzählt, wenn diese denn Anklang bei uns findet. Und wenn nicht, das Gespräch selber in eine Richtung führen, die den Anklang wiederfindet.
Kleine Gesten helfen einen Raum der Verbundenheit zu schaffen. Auf einer tieferen Ebene — und vielleicht am wichtigsten — warten wir nicht nur darauf, dass wir an der Reihe sind zu sprechen! Betrachten wir ein Gespräch als ein Angebot etwas zu erkunden, das unsere volle Aufmerksamkeit verdient. Wie eine Fernreise.
Wie würde man sich fühlen, wenn man wüsste, dass während unserer Geschichte nur halb zugehört wird, nur damit jemand anderes danach mit seiner eigenen Geschichte beginnen kann? Es heißt: Eine Gelegenheit, den Mund zu halten, sollte man nie vorübergehen lassen. Solange man redet, erfährt man nichts. Zudem sind die besten Unterhaltungen keine abwechselnden Selbstgespräche. Sie bestehen im Wechselspiel.
Es ist schwer, wenn man die Ruhe nicht in sich findet, sie andernorts zu suchen. Aber: Es ist wichtig, Gesprächspartner wissen zu lassen – stillschweigend oder offenkundig, dass wir es nicht eilig haben in einem Gespräch, dass wir zuhören mögen, nachfragen oder sogar manchmal für einen Moment nachdenken, über das was der andere gesagt hat. Ruhe wirkt darauf, was Personen uns erzählen und wie tief sie bereit sind dabei aus ihrem Innersten zu sprechen. Aus ihrer eigenen Wildnis.
Versuchen wir unser Urteil auszusetzen und Annahmen zu reduzieren. Nachdenken ist vielleicht schwer, urteilen ist dann wohl leichter. In der Komfortzone wollen wir lieber urteilen und bewerten, statt zu denken und sich seiner eigenen Unzulänglichkeiten bewusst zu werden.
Kultivieren wir stattdessen eine radikale Aufmerksamkeit gegenüber dem was andere uns erzählen. Wer ein gutes Gespräch sucht, benötigt dafür Offenheit und es rät sich, dieselbe auch zu signalisieren.
Wir können vermeiden zu denken: “Schon wieder eine Kinder‑, eine Unser-Hund-Geschichte”. Gehen wir stattdessen auf die Geschichten die man uns erzählt ein! Finden wir doch heraus, warum sich jemand so für seine Kinder, seine Reisen, seine Arbeit oder seinen Sport interessiert, statt beim Zuhören nur davon gelangweilt zu sein (und darum die Aufmerksamkeit zu verlieren).
Der Punkt ist, dass jeder in irgendetwas Experte ist. Lassen wir die Menschen uns dorthin bringen. Wenn wir nur das Hindernis unserer eigenen Annahmen überwinden, ist das oft der Moment, in dem wir beginnen etwas zu lernen.
Gruppegespräche können wunderbar sein. Sie sind effektiv, wenn es darum geht, mehr Stimmen einzubringen und interessante Diskussionspunkte zu erzeugen, aber sie können auch die Tücken der Gruppendynamik mit sich bringen, den Leuten mehr Freiraum zu geben, sich abzumelden. Es gibt diesen einen oder die andere, der oder die sich den ganzen Abend nicht zu Wort gemeldet haben. Ein Gespräch unter vier Augen kann die Intensität hingegen erhöhen. Man ist dann wie auf einer Insel zu zweit allein. Wie in einer Verschwörung.
Wir können in Einzelgesprächen sehr viel mehr Einfluss darauf nehmen, wohin die Konversation geht. Es besteht weniger die Gefahr, dass andere über einen hinweg reden oder sich gegen einen auflehnen. Es gibt weniger Druck, sich anzupassen. Es gibt nur uns und die andere Person. Es ist ein sicherer Raum, um mutig und ehrlich kleine Risiken einzugehen und persönlicher gegenüber dem anderen zu werden.
Führen wir die andere Person in die Untiefen des eigenen Seelen-Lebens – seien wir ehrlich und zeigen wir wer wir sind. Was machen wir sonst hier?
Wenn wir uns erlauben, ein wenig verletzlich zu sein, wird die andere Person das Gefühl haben, dass auch sie die Erlaubnis dazu hat. Wir betreten dadurch gemeinsam einen psychologischen Raum, in dem wir vorher vielleicht noch nie mit dieser Person zusammen waren aber nun eine gemeinsame Erkenntnis haben oder Erfahrung machen — beispielsweise ist etwas, das uns passiert ist, auch anderen passiert.
Heimat ist, wo sich unsere Geheimnisse zuhause fühlen. Wenn wir dort ankommen, werden wir uns wundern, wie viel wir wegschließen, was andere offenbar auch fühlen. Oder es geht in die andere Richtung, und wir werden uns wundern, wie sehr sich unsere Wege am Ende unterscheiden, während wir annahmen, wir seien so gleich.
Natürlich lässt man nicht jeden in diesen Raum. Wir kommen ja selber auch nur in die Räume anderer, wenn wir offen dafür sind, Annahmen und Urteile loslassen und dafür Vertrauen erhalten.
Wir sollten für gute Gespräche wachsam bleiben, weniger bewerten und mehr bewusst werden. Auch mal dazu neigen, inhaltlich vor den anderen Risiken einzugehen. Das ist dann der Weg in die Wildnis hin zu einem besseren Gespräch – mit jedem und sogar jederzeit.